Ist es nicht völlig normal, dass Arten aussterben?
Arten entstehen, und Arten vergehen. Das ist ein ganz natürlicher Prozess. Eine Art stirb aus, wenn ihre letzten Individuen ohne Nachkommen sterben. Dieser Vorgang ist unumkehrbar. Eine einmal ausgestorbene Art bleibt für immer ausgestorben. Tatsächlich ist sogar der größte Teil aller jemals entstandenen Arten bereits ausgestorben.
Doch im Allgemeinen sterben nur wenige Arten pro Zeiteinheit aus. So hat man anhand von Fossilfunden abgeleitet, dass die Lebensdauer einer Säugetierart im Mittel etwa eine Million Jahre beträgt. Bei rund 5000 Arten entspricht dies einer natürlichen Aussterberate von einer Säugetierart alle 200 Jahre. Tatsächlich sind innerhalb der letzten 400 Jahre jedoch wenigstens 76 Säugetierarten von der Erde verschwunden. Das entspricht dem 35-fachen der Hintergrundrate.
Gleichzeitig verschwanden auch zahlreiche Unterarten. Das Quagga (Equus quagga quagga), hier in einer Abbildung aus dem Zoo London um 1870, gehört zu den bekanntesten Fällen.
Das weltweit letzte Exemplar starb im August 1883 im Zoo von Amsterdam. Bildquelle: ZSL/Wikimedia.
Massen-Aussterbeereignisse hat es in der Erdgeschichte mehrfach gegeben. So gegen Ende des Ordoviziums, des Devons, des Perms, der Trias und der Kreidezeit. Diese massenhaften Artenauslöschungen waren höchstwahrscheinlich jeweils physikalischen Phänomenen geschuldet. In Frage kommen: Temperaturveränderungen mit Vereisungen und Meeresspiegelschwankungen, Veränderungen von Fläche und Umfang der Landmassen durch die Kontinentaldrift sowie Schwankungen in der Zusammensetzung der Atmosphäre. Der Einschlag eines Asteroiden als Ursache des Artensterbens zum Ende der Kreidezeit gilt als plausibel. Damals starben die Dinosaurier aus.
Entwicklung der Anzahl der Familien mariner Tiere während Kambrium, Ordovizium, Silur, Devon, Karbon, Perm, Trias, Jura, Kreide und Tertiär. In diesem Zeitraum kam es zu fünf bemerkenswerten Massenartensterben (Pfeile). Gegen Ende des Perms halbierte sich die Anzahl der Familien. Nach Hochrechnungen entspricht dies einem Artenschwund von 95%. Bemerkenswert ist auch der Zeitraum, den die Evolution jeweils benötigte, um die Verluste mit neuen Arten zu kompensieren. Nach Wilson (1989).
Heute verursacht die Menschheit eine erneute Aussterbewelle. Wir sollten sie nicht zur sechsten großen Massenauslöschung werden lassen.
Zu viele Arten gibt es nur noch in Museumsexemplaren
Über die Verluste an Wirbeltierarten seit dem Jahr 1500 besitzen wir relativ gute Kenntnis. Alle ab diesem Zeitpunkten bekanntermaßen ausgestorbenen Arten sind in der Roten Liste der IUCN erfasst. Für die bereits vollständig evaluierten Klassen Säugetiere, Vögel und Lurche ist das Ausmaß der Verluste in der nachfolgenden Tabelle zusammengefasst. Vermutlich ausgestorbene Arten sind seit sehr langer Zeit nicht mehr gesichtet worden und mit hoher Wahrscheinlichkeit bereits untergegangen.
(1,4 %)
(1,35 %)
(0,6 %)
(0,5 %)
(0,15 %)
(1,9 %)
(1,9 %)
(1,5 %)
(2,5 %)
Anteil der seit 1500 ausgestorbenen Arten an der insgesamt erfassten Artenzahl in den vollständig evaluierten Gruppen Säugetiere, Vögel und Lurche. Datenquelle: IUCN/Wildlife in a changing world. An analysis of the 2008 IUCN Red List of Threatened Species.
Wer angesichts dieser Zahlen noch keine Beunruhigung verspürt, der sollte berücksichtigen, dass viele weitere Arten bereits unmittelbar an den Rand der Ausrottung gedrängt wurden und einige Arten nur mit höchstem Aufwand gerettet werden konnten.
Die Ursachen für den Verlust der Artenvielfalt sind vielschichtig. Das nachfolgende Diagramm listet Ursachen auf, die zum Aussterben der oben erwähnten 134 Vogelarten geführt haben. Bei genauerer Analyse ergeben sich hinsichtlich der Ausrottungsfaktoren große Unterschiede zwischen Festlandbewohnern und Arten, die auf Inseln leben. Unter den ausgerotteten Vogelarten stellten Inselformen die Mehrheit.
Klassifizierung innerhalb der letzten 500 Jahre ausgestorbener Vogelarten nach den Ursachen ihres Verschwindens. Pro Art sind mehrere Ursachen möglich. Quelle: Baillie, J.E.M., Hilton-Taylor, C. and Stuart, S.N. (eds.) 2004 IUCN Red List of Threatened Species. A Global Species Assessment. Gland, 2004.
Beispiel: Trilobiten (Trilobita)
Versteinerter Trilobit. Foto: Hannes Grobe/Wikimedia
Bei den Trilobiten handelt es sich um eine frühe Klasse der Gliederfüßer, die über 150 Familien mit mehr als 20.000 Arten hervorgebracht haben soll. Die Trilobiten lebten über 300 Millionen Jahre, bis sie schließlich gegen Ende des Perms in einer großen Auslöschungswelle ausstarben. An der Vernichtung dieses hochinteressanten Evolutionszweiges hatte der Mensch mit Gewissheit keine Schuld. Bis er in Erscheinung trat, sollten noch über 200 Millionen Jahre vergehen.
Beispiel: Höhlenbär (Ursus spelaeus)
Präparat eines Höhlenbären (Ursus spelaeus) im Senckenberg-Museum zu Frankfurt am Main.
Die Höhlenbärenforschung bringt immer noch neue, interessante Details hervor. Wurde früher über die Ausrottung des Höhlenbären durch jagende Urmenschen spekuliert, geht man heute eher davon aus, dass die Jagd auf Höhlenbären, wenn überhaupt, nur einen geringen Einfluss auf das Verschwinden dieser Art hatte.
Beispiel: Beutelwolf (Thylacinus cynocephalus)
Dermoplastik eines Beutelwolfes (Thylacinus cynocephalus) im Senckenberg-Museum zu Frankfurt am Main.
Ursprünglich war der Beutelwolf in weiten Teilen Australiens und Neuguineas verbreitet. Menschliche Besiedlung des Kontinents sowie die Ansiedlung des konkurrenzstarken Dingos waren wohl die Ursachen für eine weitflächige Vernichtung. Lediglich auf Tasmanien, wo es nie Dingos gab, blieb der Beutelwolf häufig.
Als auf der Insel die Schafzucht eingeführt wurde, begann die Regierung 1830 mit der Zahlung von Abschussprämien auf Beutelwölfe. Innerhalb von 30 Jahren wurde die Art auf unzugängliche Bergregionen zurückgedrängt, doch die Bejagung wurde unvermindert fortgesetzt. 1910 schließlich galt der Beutelwolf als selten. In Tiergärten ist die Nachzucht leider nie gelungen, und so starb der letzte Beutelwolf 1936 im Zoo von Hobart.
Beispiel: Wandertaube (Ectopistes migratorius)
Präparat einer Wandertaube (Ectopistes migratorius) im Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig zu Bonn.
Die Wandertaube war einst der häufigste Vogel der Welt. Zwischen drei und fünf Milliarden Individuen sollen die Wälder des östlichen Nordamerika besiedelt haben. Sie brüteten in unvorstellbar großen Schwärmen aus Millionen von Brutpaaren. Fressfeinde konnten diesen Massenansammlungen keinen nachhaltigen Schaden zufügen.
Mit zunehmender Besiedlung und Erschließung des Kontinents fiel einerseits immer mehr Wandertauben-Lebensraum der Rodung anheim. Doch mit dem Ausbau des Eisenbahn- und Telegraphennetzes wurden andererseits auch die gewerbmäßigen Taubenfänger effektiver. Sobald ausgemacht war, wo sich die wandernden Taubenschwärme auf der Suche nach Nahrung niedergelassen hatten, wurden die Tiere in Massen mit Netzen gefangen, abgeschossen und von den Nestern gesammelt.
Als potenzieller Ernteschädling wurde die Wandertaube gnadenlos verfolgt. So kam es zwischen 1870 und 1880 zum großen Zusammenbruch. Störungen der Brutkolonien verhinderten über mehrere Jahre fast vollständig, dass junge Tauben nachwuchsen. Bald existierten nur noch wenige versprengte Kleinstschwärme, die aufgrund ihres geringen Fortpflanzungspotenzials bald vollständig aufgerieben wurden.
In Menschenhand gelang die Vermehrung der Wandertaube nur vereinzelt. Das letzte Individuum starb 1914 im Zoo von Cincinnati.
Beispiel: Goldkröte (Bufo periglenes)
Männliche Goldkröte (Bufo periglenes) Foto: Charles H. Smith, US Fish & Wildlife Service/Wikimedia
Die Goldkröte wurde erst 1966 wissenschaftlich beschrieben. Ihr Lebensraum war zu diesem Zeitpunkt auf ein kleines Bergnebelwald-Gebiet in Monterverde, Costa Rica, beschränkt.
1987 wurde erstmals ein Ausbleiben des Nachwuchses registriert. In den Jahren darauf brach die Population zusammen. 1989 wurde letztmals ein Einzeltier gesichtet.
Die Ursachen für das Verschwinden der Goldkröte sind nicht vollständig aufgeklärt. In Frage kommt die Klimaerwärmung, die zu verstärkter Trockenheit im Lebensraum führte und auch die Wachstumsbedingungen des für Lurche gefährlichen Chytridpilzes begünstigte.
Empfohlene Literatur
- s May, Robert M. Lawton, John H. Stork, Nigel E. 1995 Assessing extinction rates. Lawton, John H. May, Robert M. Extinction rates. Oxford University Press Oxford 0-19-854829-X
- bRidley, Mark1993Evolution.Blackwell Scientific PublicationsBoston0-632-03481-5Siehe Kapitel 22: Extinction and mass extinction.
- jWilson, Edward O.1989Bedrohung des Artenreichtums. Spektrum der WissenschaftNovember88-95
- bGroombridge, Brian1992Global biodiversity: Status of the earth's living resources. A report compiled by the World Conservation Monitoring Centre.Chapman & HallLondon0-412-47240-6